Ironie im Verkehr, ein offener Brief von Reinhard Helfert, Werbeagentur magenta, Mannheim
Ironie im Verkehr, ein offener Brief von Reinhard Helfert, Werbeagentur magenta, Mannheim

Achtung: Ironie im Verkehr!

Lieber Herr Verkehrsminister...

Ein offener Brief von Reinhard Helfert

Lieber Herr Verkehrsminister von Baden-Württemberg,

ich finde das nicht lustig, was Sie da über die Autobahn gehängt haben. Fast wäre ich im Stau auf meinen Vordermann aufgefahren, bloß weil ich das „Kleingedruckte“ auf Ihrem Banner lesen wollte. Genauer gesagt: es geht um die Banner-Kampagne an Autobahnbrücken Ihres Ländle; und noch genauer: um das Motiv auf der A6 zwischen Viernheimer Dreieck und Mannheimer Kreuz. 

Ich habe, ehrlich gesagt, lange gebraucht, bis ich den Haupttext des Banners lesen konnte, obwohl ich täglich zweimal darunter hindurchfahre. Als mir das schließlich gelungen war, wollte ich natürlich herausfinden, wer den Schwachsinnssatz zu verantworten hat. „Eure Mütter“ steht da klein geschrieben, und dies hat mich dann vollends verwirrt. Was hat denn meine Mutter damit zu tun?

Aber schön der Reihe nach: 

Was mich wirklich aufregt, ist die Aussage des Banners: „Wir fahren regelkonform, damit uns keiner anschwärzen kann.“ 

Warum mich das aufregt? Ganz einfach: weil der Satz impliziert, dass wir alle hier auf der Straße angsterfüllte, duckmäuserische und obrigkeitshörige Spießbürger sind, die zudem gleichzeitig jeden denunzieren. Auch wenn das bei vielen Mitbürgern zutreffen sollte, will ich nicht morgens auf dem Weg zur Arbeit daran erinnert werden.

Und sollen denn die Holländer, die auf dem Weg gen Süden zwangsläufig hier vorbeikommen, denken, dass auf unseren noch mautfreien Hochgeschwindigkeitsautobahnen die Nachfolgeorganisationen von Gestapo oder Stasi unterwegs sind?

Muss man die kennen?

„Eure Mütter“ steht da als Urheber. Ach, so heißt eine Gruppe schwäbischer Comedians?! Zumindest behauptet das meine Kollegin, und die ist schließlich Schwäbin und muss das ja wissen. Ich als Hesse musste googeln. Bei Wikipedia habe ich folgendes gefunden: „Zu ihrem Stil gehört es, mit sehr direkten Derbheiten zu arbeiten.“ Ihre Bühnenprogramme heißen „Runterschalten, Fresse halten!“ oder „Ohne Scheiß: Schoko Eis!“ – wow, echte Brüller, mit denen sie weltberühmte Kleinkunstpreise wie den „Stuttgarter Besen“ gewonnen haben. Und da ist ja auch noch ein kleines Bildchen auf dem Banner mit drei männlichen Gesichtern mit lustigen aufgemalten Bärten und Fastnachtshütchen und einem dampfenden Scheißhaufen auf der Schulter. Das sind die dann, die „Mütter“? Haha, wirklich extrem lustig!

Ach, der Satz ist Satire?! 

Jetzt hängt das Plakat aber auf einer frei befahrbaren Bundesautobahn, auf der auch jede Menge Bürger aus anderen Bundesländern unterwegs sind. Da sollte man bei Testimonials keine regionalen Nischen-Promis verwenden, die einen Satz sagen, an den man „Achtung, dies ist Satire“ schreiben muss, damit man das nicht in den falschen Hals bekommt. Mit Dieter Hildebrand hätte das vielleicht funktioniert, aber der war ja kein Schwabe.

Merke: 

Zahllose Bundesbürger sind zwar im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis, können aber intellektuell mit Ironie und Satire überhaupt nichts anfangen. Zudem braucht Satire einen bestimmten Rahmen, in dem sie als solche auch verstanden wird. Der Satz „Dresden ist voller Ausländer“ wirkt beispielsweise auf einem Transparent bei der PEGIDA-Demo völlig anders als auf der Titelseite der Titanic (ich muss jetzt nicht erklären warum... oder?). In einem Kabarett, in das man freiwillig geht und für das man Eintritt bezahlt, als „Sau“ bezeichnet zu werden (ein Programm der besagten „Mütter“ hieß „Schieb, du Sau!“), mag zwar niveaulos sein, ist aber „erlaubt“ und eben etwas fundamental anderes als auf der Straße von einem Fremden so tituliert zu werden, da dies dort den Tatbestand der Beleidigung erfüllt.

Gut gemeint, aber schlecht gemacht 

Zu guter Letzt: die grafische Umsetzung ist echt verkehrsgefährdend. Da man selbst unter optimalen Lichtverhältnissen die Hauptaussage erst ca. 30 Meter vor der Brücke erkennen kann (siehe Bild), bleiben bei Tempo 120 km/h 0,9 Sekunden in denen man seinen Bick zuletzt steil nach oben von der Fahrbahn weg richtet. Und welcher freie Bürger mit Luxuskarosse made in BaWü oder dem angrenzenden Bayern schleicht mit 120 km/h auf einer dreispurigen Autobahn?

Auf der Autobahn muss ein Plakat in jeder Hinsicht schnell funktionieren. Hier darf man nicht abbremsen, um den Textinhalt, seine Bedeutung, und den Absender der Botschaft zu erfassen. Die vielen unterschiedlichen und zum Teil sehr schwer erkennbaren Bestandteile des Banners binden die Aufmerksamkeit des Betrachters und verwirren. Plakativ geht anders.

Im Grundstudium Kommunikationsdesign haben wir gelernt, dass versal geschriebene Textzeilen (nur Großbuchstaben) schlecht zu lesen sind. Hier arbeitet die Haupttextzeile mit diesem Stilmittel. Zudem wird die Lesbarkeit durch mangelnde Farb- und Helligkeitskontraste (graue Schrift auf beigem Grund) und zu dünne Schriftschnitte stark eingeschränkt. Auf dem grobmaschigen Netzgewebe kann man bei Gegenlicht aufgrund der durchscheinenden Streben des Brückengeländers gar nichts mehr erkennen.

Hut ab!

Als ich dann mal wieder im Stau direkt davor stand, habe ich das filigrane Wappen entdeckt und dadurch festgestellt, dass dieses Banner von Ihnen initiiert wurde. Mein Kompliment, Herr Minister, genau so fördert man Verkehrskultur und Achtung gegenüber seinen Mitmenschen!

Fazit: Ich fahre vorsichtig, ... 

...nicht wegen der Regeln, sondern aus Respekt vor dem Leben Anderer, weil mich MEINE Mutter zu einem verantwortungsbewussten Bürger erzogen hat, weil ich mir im Moment kein neues Auto leisten kann, weil ich mein eigenes Leben liebe und unbeschadet aus dem täglichen Autobahnkrieg nach Hause zu meiner Liebsten kommen will. Das mögen vielleicht hoffnungslos spießige Gründe eines unverbesserlichen Gutmenschen sein, der keinen Humor versteht. Aber so bin ich halt – und das ist auch gut so!