Ich glaube es war Walter, ein Mitbewohner in der Studenten-WG, in der ich vor 25 Jahren wohnte. Ja, ganz sicher, Walter war’s, der damals – angesprochen auf seinen Schlabberpulli in leberwurstgrau und seinen Bundeswehrparka – sagte: „Klamotten müssen bequem und praktisch sein und… wärmen.“ Und da haben wir das deutsche Dilemma.
Der Deutsche ist eleganzresistent. Er kleidet sich nicht, er „zieht sich an“ – praktisch, billig, pflegeleicht! Und so sieht er dann auch leider meist aus. Wir, die Erfinder der hässlichsten Sandalen der Welt, tragen unsere Adiletten und Birkenstocks selbstbewusst im Ausland zu weißen Frotteesocken, kurzen Hosen und T-shirts mit bierbauchüberspannendem Boss-Aufdruck und wundern uns noch, dass wir von der einheimischen Bevölkerung am Urlaubsort sofort als Deutsche entlarvt werden. Gerade in den Ländern des romanischen Sprachraumes, in die die Germanen traditionsgemäß alljährlich einfallen, stoßen teutonische Kleidungsgewohnheiten von jeher auf breites Unverständnis. Bereits im römischen Reich waren die Goten ob ihrer schlampigen Kleidung und ihrer mangelnden Frisuren als Barbaren verschrien.
Kein Italiener der älter als 12 Jahre ist, würde in kurzen Hosen auf die Straße gehen, geschweige denn ein öffentliches Lokal oder gar eine Kirche betreten. Keine Französin mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 90 Kilo (gibt’s ja auch nicht so oft) würde sich in an Wurstpelle erinnernde Leggins quetschen. Der spanische Industriearbeiter trägt auf der Demo gegen die Werksschließung in Tarragona zur Kommunistenkappe ein zwar schäbiges, aber doch ein Sakko. Ja, selbst in den ärmeren Vierteln Sao Paulos oder Mexico Citys würde keine Frau – auch unter erbärmlichsten Lebensumständen – ohne Lippenstift und liederlich gekleidet auf die Straße gehen. Ganz im Gegenteil, Stolz und Würde werden demonstrativ nach außen getragen.
In den ach so freien USA, die die Welt mit ihrer Sportswear überschwemmen, herrschen in der Geschäftswelt harte Kleiderordnungen, die lediglich am sogenannten „Leasure-Friday“ aufgeweicht werden dürfen, und selbst im nicht vom Hochgeschmack verwöhnten England existiert so etwas wie ein Stil, auch wenn ich persönlich Tweedsakkos, Barbour-Wachsjacken und Burberry-Schals gerne auf die äußeren Hebriden verbannen würde. Und zudem setzen Designer des englischen Königreichs wie Vivienne Westwood der traditionellen Mode des verarmten Landadels einen eigenständigen Stil entgegen.
In Deutschland gibt es nichts, was international Beachtung findet, sieht man einmal von den bayrischen Trachtenjankern ab, die japanische Touristen nach Nippon exportieren – und zuhause wahrscheinlich nie mehr anziehen.
Als habe sich die heimische Textilindustrie geschworen, dass von deutschem Boden nie mehr ein Impuls für die internationale Mode ausgehen darf, üben sich „Boss und Co.“ in vornehmer Zurückhaltung. Jil Sander beantwortet das Thema mit deutschem Minimalismus, der vielleicht mit unserer Bauhaustradition begründet werden kann und einen der wenigen Lichtblicke darstellt. Der Rest ist Schweigen… und C&A!
Der Deutsche vergisst, dass Kleidung eine Sprache ist. Sie ist stets ein Ausdruck des Trägers oder der Trägerin und setzt Zeichen, die, ob man will oder nicht, wahrgenommen werden und zu einer Beurteilung führen. Wir kommunizieren mit unserer Kleidung, das sollte uns klar sein. Und nicht zuletzt ist bewusstes Kleiden eine Frage des Respekts dem ästhetischen Empfinden unserer Mitmenschen gegenüber.