Ich muss zugeben, mich hat es so richtig erwischt. Meine Psychotherapeutin, bei der ich seit einiger Zeit meine wöchentliche Sitzung habe, sagt, dass noch ein langes Stück Arbeit vor mir liegt. Tröstlich nur, dass mir meine Krankenkasse dabei finanziell zur Seite steht. Meine Diagnose? Ich hab ebay. Angefangen hatte alles damit, dass ich auf dem Sperrmüll einen Kalender von 1993 fand. Mit Aktfotografien, von Pirelli, ein Sammlerstück, wie man mir neidisch mitteilte – da hatte ich doch mal was gehört von diesen Online-Versteigerungen...
Also habe ich mich kundig gemacht, mir einen lustigen Usernamen ausgedacht (wird nicht verraten) und mich mit zitternden Händen bei Ebay angemeldet. Und jetzt ging alles wie von selbst: Mit nur wenigen Klicks war der Kalender im Netz und ab 1,– Euro zu haben. Na ja, fünf Euro werd´ ich ja wohl bekommen für das gute Stück, dachte ich. Als ich dann nach zwei Wochen eine E-Mail bekam, dass der Kalender für 85,– Euro seinen Besitzer wechseln würde, war ich völlig aus dem Häuschen. Das war der Dammbruch. Ich investierte den unerwarteten Gewinn sofort in eine Digitalkamera mit 5 Millionen Pixeln. Okay, ich musste noch ein paar hundert Euro drauflegen, aber die würde ich ja innerhalb kürzester Zeit wieder einnehmen. Ich begann mein Arbeitszimmer zu entrümpeln, ein Job, vor dem ich mich viele Jahre lang erfolgreich gedrückt habe. Die Kisten mit dem ausrangierten Nippes längst vergangener Zeiten wurden aus dem Keller nach oben geschleppt. Ich begann, den gesamten Plunder in Häufchen auf dem Fußboden zu sortieren.
Inventarisieren, katalogisieren, fotografieren – endlich hatte ich einen kompletten Überblick über meine unbewältigte Vergangenheit. Ein Räuchermännchen aus dem Erzgebirge (Geschenk von Tante Klara), eine lückenhafte Sammlung spannender Geschichten aus Perry Rodans galaktischen Imperium, das Kommunistische Manifest mit Kommentaren zum Selbststudium (DDR-Ausgabe, Dresden 1967), eine Blockflöte Firma Möck, von mir eigenhändig gehäkelte Topflappen (in der Sexta war Familienhauswesen auch für uns Jungs Pflicht) oder die Original-Eintrittskarten für die Bob-Dylan-Konzerte aus den Jahre 1982, 1985, 1987 und 1988 – es war wirklich für jeden etwas dabei.
Ein DSL-Anschluss musste her. Die Seite „Mein ebay“ wurde als Startseite eingerichtet, und dann konnte es losgehen. Die folgenden Monate verbrachte ich jede freie Minute entweder in nervösem Dauerzustand vor dem Computer oder war damit beschäftigt, meine Schätze zu verpacken und in die Welt zu versenden (ich bin mir sicher, dass die Deutsche Post AG ein großes Aktienpaket von ebay hält). Dass ich dabei irgendwie vereinsamt wäre, kann ich eigentlich nicht sagen – lernte ich doch so nette Leute wie „Nellymaus“, „Flying-Koala“, „Moppelchen“ oder „Alzheimer-Tom“ kennen, die ich allesamt mit meinen Produkten glücklich machte. Die positiven Bewertungen prasselten nur so über mich herein und ich war glücklich.
Auf meinen nächtlichen Wanderungen durch die bunte Warenwelt des Online-Flohmarktes fand ich so allerlei Interessantes. Ich steigerte mich im wahrsten Sinne des Wortes hinein. Schon bald nannte ich so schöne und nützliche Dinge wie ein HB-Männchen (Größe 1,68 m), eine von innen beleuchtete venezianische Gondel (Länge 53 cm) oder einen 20 Jahre alten Eierköpfer aus dem Kombinat „Plaste und Elaste“ mein Eigen. Alles, was ich an Geld einnahm, wurde sofort wieder investiert.
Die Dinge, die ich ersteigerte, gaben mir jedoch nur kurze, flüchtige Glücksmomente – mit einer Ausnahme: das Batman-Kostüm trage ich auch heute noch gerne, wenn auch nur noch als Hausanzug.
Mir wurde klar: Ich brauche Hilfe. Ich suchte im Netz nach den „Anonymen ebayern“, vergebens. Die Therapeutin, für die ich mich dann entschied, hat viel Verständnis. Ihre Praxis schmückt jetzt ein HB-Männchen, eine beleuchtete Gondel und jede Menge Krimskrams aus meinem persönlichen Fundus.
Wenn Sie auch einmal die Faszination von Online-Auktionen erleben möchten, steigern Sie mit. Es lohnt sich.