Die Leiden des jungen Werbers

Eine Glosse von Reinhard Helfert

„Ist das nicht ein toller Beruf, das wäre ich auch gerne geworden. Immer so kreativ und voller witziger Ideen. Ich find' Werbung klasse!“ Der jungen Frau, die mich nach meinem Beruf gefragt hatte, glänzen die Augen. Warum fragt die eigentlich? Sieht man mir das nicht an? Schwarzer Anzug, schwarzer Rolli, schwarze Socken und schwarze Schuhe; und natürlich schwarze Slip-Boxer (kann sie aber nicht sehen). Dann die Brille – natürlich Philippe Starck.

Jetzt plötzlich weiß sie alles über mich, sie kennt Designer schließlich aus dem Fernsehen. Sie weiß, wie ich morgens auf meinem Designerfuton aufwache, in meiner Altbauwohnung, Maisonette – irgendwie loftartig. Bauhausmöbel, Bulthaup-Küche, Poccino-Espressomaschine, Klopapier extrasoft, 5-lagig – alles passt zusammen, und das lass' ich mir was kosten. Vor 10.30 Uhr fang' ich erst gar nicht an zu arbeiten, da fällt mir einfach nix ein. Zu meiner Agentur, die sich natürlich in einer alten Fabrikhalle befindet und aus vielen rohen Backsteinwänden, Stahl und Glas besteht, bringt mich mein chromblinkender 1971er Citroen DS (den Alfa Julia Super hab' ich leider verschrotten müssen). Wir duzen uns natürlich alle in der Agentur. Meine Kollegen sind wie ich: jung, schön und natürlich anders als alle anderen. Die aus dem Artwörk tragen kurzärmlige T-Shirts über langärmligen und kommen auf „Rotwild“-Mountainbikes.

Als Creativ-Director bin ich natürlich der kreativste, da macht mir keiner was vor. Die genialen Kampagnen fallen mir einfach so ein, meistens unter der Dusche, und wirklich jede ist ein potenzieller Awardwinner. Ich bin ein Alleskönner und Alleswisser. Mein Wissen beziehe ich aus einschlägigen Lifestyle-Magazinen und dem Privatfernsehen. Zehn Werbeblöcke pro Tag sind Pflichtprogramm – der Film ist völlig unwichtig.

Bei Musik bin ich voll der Trendsetter. Ich spüre es im Urin, wenn bald ein Freddy-Quinn-Revival ansteht. Wenn ich Freddy im Büro höre, kommt garantiert eine Woche später die Extended-Techno-Version von „Junge, komm bald wieder“ auf den Markt.

In Kunst kenne ich mich auch total aus. Keine Vernissage ohne mich. Dabei aber nur Champagner, weil mein Magen einfach nichts anderes verträgt. Ich bin mit ganz vielen wichtigen Leuten per Du. Künstler, Fotografen, Politiker – alle sonnen sich in meinem Glanz. Die Headhunter stehen Schlange, um mich abzuwerben zu großen internationalen Agenturen. Vielleicht mal nach London oder New York, dort warten sie nämlich auf mich.

Zuhause bin ich nicht oft, da ist mir langweilig, weil mir niemand huldigt. Also geh' ich gegen 23.00 Uhr direkt nach der Arbeit auf einen Zombi oder zwei ins „Palms“. Dort treffe ich dann alle, die so „cool“ sind wie ich, und natürlich auch Georg, der mir immer das weiße Pulver besorgt, das mir bei meinen genialen Ideen hilft. Hier kennt und liebt mich jeder. Es kommt oft vor, dass junge Schönheiten versuchen, mit mir zu flirten – aber aus Frauen mach' ich mir irgendwie nix. Ruckzuck sind die bei dir eingezogen, besetzen deine Corbusier-Liege und bringen deine Küche in Unordnung.

Also geh' ich gegen 3.00 Uhr alleine nach hause (ich muss ja morgen wieder früh raus), hänge meinen schwarzen Anzug auf den stummen Diener und entferne Schuppen und Flusen mit der Fusselbürste. Im Bett schau' ich noch ein wenig in die Glotze – Werbung, versteht sich – und fühle mich so richtig toll.