Billy, The Hit

Nomen est omen. Eine Glosse von Reinhard Helfert

Mein Kollege Gerd ist schwanger, Christian auch – zum zweiten mal. In meinem engsten Freundeskreis gibt es noch zwei „glückliche“ Pärchen, bei denen sich Nachwuchs angekündigt hat. Irgendwie scheint es mir, als sei die halbe Welt schwanger. Ob das an dem heißen Sommer lag?

Nun denn, es ist passiert und schon gibt es das erste Problem: das Kind braucht einen Namen. Jetzt sind ausgerechnet Gerd und Christian die begnadeten Namensentwickler in unserer Agentur. So klangvolle Produktbezeichnungen wie „Flööz“ für ein Kuschelsofa, „Matt-ratz“ für die neue 8-Zonen-Latexmatratze von Schlappoflex oder das onomatopoetische „Schlotz“ für die neue Eiskreation von Langnase entstammen ihren oft tagelangen Brainstormings. Aber wie das immer so ist, wenn man seine Kreativität mal für sich selber braucht, versagt sie. Gerd zum Beispiel: zwei Monate hatte er jetzt daran gearbeitet, einen geeigneten Mädchennamen zu finden (ihm war von Anfang an klar, dass es ein Mädchen werden würde), und dann kam das ernüchternde Ultraschallbild mit dem Zipfelchen. Jetzt steht er wieder vor dem Nichts.

Wenn ich jetzt versuche, mich in seine Situation hineinzuversetzen – und das fällt mir zugegebenermaßen recht schwer, war ich doch bisher nicht mit diesem Problem behaftet – stünde ich ebenso hilflos da. So viele Dinge gibt es bei einer Namensentwicklung zu bedenken, und im Vergleich zu einem Produkt stellt das zu benennende Objekt „Mensch“ auch noch ganz besondere Bedingungen:

  • Im Vergleich zu einem Automobil ist der Lebenszyklus des Menschen im Normalfall recht lang, was zu modische Namen von vorneherein ausschließt – zumal modische Namen durch ihre inflationäre Verbreitung nur eine begrenzte Individualisierung zulassen. Da würden sich also „Kevin“ oder „Yessika“ für mich eher nicht anbieten.
  • Namensentlehnungen von Lieblingspopstars sind wegen deren geringer Halbwertzeit auch nicht angebracht. Was jetzt noch ganz lustig klingen mag ist in dreißig Jahren vielleicht mega out. Da muss dann ein erwachsener Mensch mit dem abstrusen Namen „Robbie William Rothärmel“ oder „Dr. Madonna Schmitz“ herumlaufen. Ich glaube ich wäre auch nicht so glücklich, hätte mich mein Papa „John Paul Ringo George Helfert“ genannt.
  • Im Gegensatz zu einem industriellen Produkt verändert sich das Produkt Mensch im Laufe seines Lebenszyklusses sehr stark. Es ist also abzuraten, einen Namen zu wählen, der eindeutig einem gewissen Entwicklungsstand zuzuordnen ist, wie zum Beispiel „Pumuckel“ oder „Methusalem“.
  • Selbst bei der Benamung eines Homo Sapiens spielt die Globalisierung eine gewichtige Rolle. So ist es wie bei einem Produkt notwendig abzuklären, dass der Name nicht in irgendeinem Land einen negativen Beigeschmack hat. Oder möchten Sie vielleicht daran Schuld sein, dass Ihr Sprössling die Stelle als Botschafter in diesem Land wegen seines Vornamens nicht bekommt? Während der Name „Popo“ in Kamerun so etwas wie „weise Frau“ bedeutet, neigt er bei uns doch eher zur Unseriosität.
  • Auch bei zu fremdländischen Namen sollte man Vorsicht walten lassen. Ich kenne zum Beispiel eine Tsugiko Müller – das erste, was sie in der Schule gelernt hatte, war, ihren Namen zu buchstabieren – oder Mugabe Obermayer (siehe Telefonbuch von Windhuk, Namibia), oder…

Ja wirklich, alles braucht einen Namen. Und Ikea geht uns da mit gutem Beispiel voran, auch wenn man sich manchmal fragt, was sich die schwedischen Namenserfinder dabei gedacht haben. Da gibt es zum Beispiel das Kindergeschirr „Mumsa“, das Kissen „Hungrig“, den Küchenschrank „Enkel“ oder die Kommodenserie „Leksvik“ – häähh??

Und doch ist ein Besuch in diesem Möbelhaus ein gigantischer Pool ausgefallener Benennungen und ein unerschöpflicher Quell der Inspiration. Namen über Namen, gespickt mit lustigen Umlauten oder Vokalen mit Kreisen drauf: Fjällnäs, Hulån Vitskär und Co..

Ich hab mich also in Gerds und Christians Situation hineinversetzt und mich am letzten Samstag ins Ikealand begeben (mein Teelichter-Vorrat neigte sich zudem beängstigend dem Ende entgegen) und plötzlich in der Regalabteilung fand ich das Ei des Kolumbus für mein noch ungezeugtes Kind: Billy – kurz, leicht zu merken, international und geschlechtsneutral.

Anmerkung des Autors: Die Namen aller vorkommenden Personen wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen verändert.